Sonntag, 25. März 2012

Auf den Spuren des Genozids- Eine verwirrende Reise nach Ruanda

Hallo alle zusammen,

ich hoffe euch geht es gut.

Heute möchte ich die Gelegenheit nutzen, um euch von meiner Reise nach Ruanda zu berichten. Hinter mir liegt eine sehr ereignisreiche, spannende aber zum Teil auch schockierende Woche, aber der Reihe nach:

Mein erster Trip außerhalb Ugandas begann letzten Freitag. Nach den letzten zwei Monaten in Uganda wurde es nun höchste Zeit für mich endlich „loszuziehen“ und neue Eindrücke von Ostafrika zu erhalten.
Nach einem interessanten Meeting in Kampala mit Oxfam Uganda blieb ich dort für eine Nacht und machte mich anschließend auf den Weg in Richtung Ruanda.

Nach einem Tag an dem wunderschönen “Lake Buyoni“ ging es dann über die Grenze nach Kigali, der Hauptstadt Ruandas, das Land das die meisten Menschen mit dem Genozid im Jahr 1994 in Verbindung bringen, in dem innerhalb von 2 Monaten bis zu 1 Millionen Menschen getötet wurden (die offizielle Zahl liegt bei 800.000, allerdings herrscht hier Uneinigkeit). Inzwischen hat sich Ruanda allerdings erstaunlich positiv entwickelt und gilt gemeinhin als „das Musterland“ in ganz Ostafrika.

Massengrab in der Genozid-Gedenkstätte "Gioszi"


So war ich absolut überrascht von Kigali, da mich die Stadt eher an eine europäische Metropole erinnerte, als an eine Stadt in Afrika, welche vor einigen Jahren noch ein Kriegsschauplatz gewesen war. Man sieht nirgends Müll auf de Straßen, der Besitz von Plastiktüten wird mit empfindlichen Strafen geahndet, die Straßen sind in einem Top-Zustand, die Stadt ist unheimlich grün mit vielen Bäumen und Wiesen, im Zentrum sieht man zahlreiche super-moderne Wolkenkratzer und vieles mehr. Man hat so richtig, das Gefühl, dass sich in diesem Land etwas tut. Kurzum, es war das exakte Gegenteil von Uganda, insbesondere von Kampala.






Einige Bilder aus Kigali


Diese erstaunliche Entwicklung wirft aber natürlich einige Fragen auf, beispielsweise: „Wie kann sich ein Land innerhalb so kurzer Zeit nach einem solchen Ereignis nur derartig entwickeln? Wie kann eine Gesellschaft funktionieren, in der so ziemlich jeder Einzelne in irgendeiner Weise entweder als Opfer oder als Täter in einem so grausamen Völkermord involviert war?“ Diese Fragen stellten sich mir schon seit Längeren und waren wahrscheinlich der Hauptgrund für meine Reise.

Insbesondere in Kigali bekam ich die Möglichkeit diesen Fragen nachzugehen und einen umfassenden Einblick in die Geschehnisse um den Genozid zu erhalten.
An dieser Stelle möchte ich nun nicht alle Details zu dem Völkermord und der Vergangenheit Ruandas erwähnen, da das hier wohl den Rahmen sprengen würde, deshalb nur die wichtigsten Infos, wie es zu dem Genozid kommen konnte.

Ruanda war ursprünglich eine deutsche Kolonie bis Deutschland nach dem 1.Weltkrieg alle Kolonien abgeben musste. So übernahmen die Belgier die Herrschaft über Ruanda. Auf diese Zeit geht auch die Einteilung in „Hutu“ und „Tutsi“ zurück. Es handelt es sich hierbei nämlich keineswegs um Volksgruppen oder Stämme wie gemeinhin angenommen, sondern um eine eher willkürliche Unterteilung, die von den Belgiern vorgenommen wurde. So entschieden die Kolonialherren, dass in Zukunft alle Familien mit mehr als 10 Rindern zu den Tutsi gehören, und Familien mit weniger ab sofort Hutu sein sollten. Die Tutsi stellen mit ca. 15 Prozent eine Minderheit dar, wurden allerdings von den Belgiern stark gefördert und nach dem Ende der belgischen Kolonialherrschaft als Führung des Landes eingesetzt. Diese Macht nutzen die Tutsi aus und unterdrückten die Mehrheit der Hutus massiv und nutzen ihre Macht bis zu einem Punkt aus, an dem die Hutu Mehrheit die Macht in Ruanda übernahm.

Daraufhin begannen sich die Hutu zunehmend an den Tutsi für die Unterdrückung zu rächen, sodass es schon vor 1994 zu zahlreichen Massenmorden an Tutsi kam. Die Stimmung gegenüber der Tutsi Minderheit wurde - angestachelt von Hutu-Extremisten, massiver Propaganda und führenden Politiker - immer feindseliger. Den Start des Genozids leitete ein Anschlag auf das Flugzeug des damaligen ruandischen Präsidenten ein, der angeblich von Tutsi verübt worden wäre. (Heute weiß man, dass dieser Anschlag von extremistischen Hutus selbst verübt wurde und als Vorwand für den Völkermord verwendet wurde) Der daraufhin folgende Genozid war offensichtlich von langer Hand geplant. Innerhalb weniger Stunden nach dem Abschuss der Präsidentenmaschinen wurden in ganz Ruanda Straßensperren errichtet, Tutsis gezielt zusammengetrieben und auf brutalste Weise massenhaft getötet. Obwohl die UN Kenntnis hiervon hatte wurden alle Schutztruppen aus Ruanda abgezogen und die Menschen ihrem Schicksal überlassen. In den folgenden 2 Monaten wurden ca. 1. Millionen Menschen getötet, bis eine aus Uganda kommende Armee von Exil-Tutsis (angeführt von dem heutigen Präsidenten Paul Kagame) dem Morden ein Ende bereitete.

Soweit die Kurzfassung der damaligen Ereignisse. Zahlreiche weitere Details und Informationen zu dem Genozid erhielt ich in der Gedenkstätte in „Geoszi“  Hierbei handelt es sich um eine der ergreifensten und besten Museen, in denen ich jeweils war. Dort wurde man mit dem ganzen Grauen des Völkermordes, aber auch den Hintergründen konfrontiert.



Gedenktafel mit Namen Getöteter und Massengräber in Gioszi


Ziemlich betroffen machte ich mich auf den Weg zu einem Ort namens Nyamata außerhalb Kigalis. Dort befinden sich 2 Kirchen, in denen es damals zu extrem blutigen Massakern gekommen war und die heute als Gedenkstätten dienen. Während der ersten Massenmorde an Tutsi suchten diese stets Zuflucht in Kirchen, da es die Hutu anfänglich nicht wagten aufgrund ihres Glaubens dort Menschen zu ermorden. Dies ändere sich allerdings in dem „großen Genozid“ 1994 und so wurden in der ersten Kirche innerhalb von 2 Tagen ca. 5000 Menschen –hauptsächlich Frauen und Kinder- ermordet (Die Männer verschanzten sich auf einem nahe gelegenen Berg und versuchten Widerstand zu leisten).
Was mich in dieser Kirche erwartete lässt sich an dieser Stelle kaum in Worten wiedergeben. Auf dem Gelände dieser Kirche wurden einige Räume in exakt dem Zustand gelassen, wie man sie nach dem Genozid vorgefunden hatte. Lediglich die Leichen wurden entfernt. In einer Ecke der Kirche waren zahlreiche Knochen und vor allem Schädel offen aufgebahrt. Man sah die Waffen, die die Täter verwendeten (hauptsächlich Macheten, Knüppel und Äxte) und die Kleidung der Opfer.

Ich erhielt eine Führung von einem Mann, der damals als einer der wenigen überlebte, allerdings seine komplette Familie verlor. Er führte mich herum, erklärte wo welche Menschen auf welche Weise getötet wurden, was mit den Leichen geschah und vieles mehr. Spätestens als wir einen kleinen Nebenraum erreichten, in dem hauptsächlich Säuglinge und Kleinkinder getötet wurde, indem man sie gegen Wände schleuderte und man an den Wänden noch Spuren hiervon erkennen konnte, fühlte ich mich wie taub. Ich hatte das Gefühl, als würde mein Kopf „aus Selbstschutz“ einfach abschalten um sich nicht vorstellen zu müssen, was an der Stelle geschah, an der ich in dem Moment stand.
Es gibt wohl keine Worte und beschreiben zu können, was in einem vorgeht, wenn man so unmittelbar mit etwas derartig grausamen konfrontiert wird.

In dem Gespräch mit dem Überlebenden erfuhr ich einige Dinge, die ich kaum glauben konnte. So erzählte er mir, dass er gesehen habe wie nach dem Genozid UN Truppen Tausende von Leichen in Säcke packten und mit Helikoptern in nahegelegene Seen versenkten, um ihr eigenes Versagen zu vertuschen.

Auf die Frage, wie seiner Meinung nach mit den Tätern umgegangen werden sollte erklärte er, dass man diesen nun verzeihen müsse. Seine Mutter und seine Geschwister wären damals von seinem Nachbarn mit einer Machete getötet worden. Nach Ende des Genozids wäre dieser für einige Jahre deshalb im Gefängnis gewesen, allerdings wurde er inzwischen freigelassen und habe ihn um Verzeihung gebeten. Er habe diese Entschuldigung angenommen und heute lebten sie wieder als Nachbarn nebeneinander und kämen sehr gut miteinander zurecht. Ich konnte es nicht glauben und war absolut sprachlos. Wie ist so etwas möglich? Wie kann man denn Tür an Tür mit jemandem leben, der seine eigene Familie getötet hatte? Er erklärte mir, dass das der einzige Weg in eine erfolgreiche Zukunft für Ruanda sein könnte. Man müsse sich verzeihen und aufhören sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Er selbst sei ein gläubiger Mensch und seine Religion gebiete es ihm anderen Menschen zu verzeihen, ganz egal welche Taten diese begangen hätten. Er selbst habe schließlich auch schon Fehler begangen und um Vergebung bitten müssen. Deshalb habe er nun auch seinem Nachbar vergeben. Ohne diese Vergebung gäbe es schließlich keine Zukunft für sein Land und er wolle seinen Teil dazu beitragen diese Zukunft besser zu gestalten und aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Etwas ähnlich hatte mir ein anderer Überlebender in Kigali nach meinem Besuch der Gedenkstätte zu erklären versucht.

An dieser Stelle hatte ich wohl die Antwort auf die Frage gefunden, die mich in dieses Land geführt hatte. Die Menschen scheinen sich verziehen zu haben, so unglaublich das für uns im ersten Moment sein mag. Für eine gemeinsame, bessere Zukunft sind die Opfer bereit das geschehene Unrecht hinter sich zu lassen und von Vergeltung abzusehen.

Was mir diese beiden Personen versuchten zu erklären und was ich erst einige Tage später zu verstehen begann, ist wohl eine der beeindruckensten Dinge, die mir jemals begegnet sind.

Ich machte mich anschließend auf den Weg zur zweiten Kirche. Hier wurden ca. 10.000 Menschen getötet. In einem offenen Massengrab sind die Überreste zahlreicher Getöteter zu sehen. Dort sah ich eine unvorstellbare Sammlung an Knochen und Schädeln, die bis zur Decke gestapelt wurden. Es war irgendwie „unwirklich“. Wir alle haben schließlich schon unzählige Schädel in Filmen oder an Halloween gesehen, aber diese Schädel waren auf einmal „echt“. Hinter jedem einzelnen von diesen hunderten von Schädeln steckte ein eigenes Leben, eine eigene Geschichte und ein eigenes Verbrechen. Wirklich realisieren lässt sich das allerdings in diesem Moment nicht.

(Ich denke, dass ihr nachvollziehen könnt, weshalb es an dieser Stelle keine Bilder von diesen Orten geben kann)

Ich verließ diese zweite Kirche in Richtung Kigali nach diesem Tag mit einem Gefühl, das irgendwo zwischen Schock, Trauer und tiefer Verwirrung anzusiedeln sein dürfte.

Die folgenden Tage war ich in Ruanda unterwegs und sah ein landschaftlich – wunderschönes und beeindruckendes Land. Allerdings wurde ich nun stets von einem unheimlichen Gefühl begleitet. In jedem Bus und jeden Taxi fragte ich mich, welche Rolle die Menschen um mich herum wohl während des Genozids spielten. Sobald ich ein Motorradtaxi nahm kam der Gedanke in meinen Kopf, ob mich wohl gerade ein Mörder irgendwo hinfährt. Dieser Gedanke führt zwar nirgends hin und tut vielen Menschen sicherlich Unrecht, kam aber automatisch, ohne das ich etwas dagegen tun konnte. Es war –wie gesagt – absolut unheimlich.

Auf dem Weg zurück nach Kampala machte ich noch einmal einen Zwischenstopp am Lake Buyoni für eine Nacht und fuhr dann am nächsten Tag zurück in „meinen Wald“.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ich sehr froh bin diese Reise gemacht zu haben, auch wenn ich wohl immer noch einige Zeit brauchen werde, um alles zu verstehen, was ich in Ruanda erfahren habe, wenn das überhaupt möglich ist. Es ist den Menschen in Ruanda von Herzen zu wünschen, dass diese positive Entwicklung so weiter geht, man aus der Vergangenheit lernt und sich ihre Zukunft besser gestaltet. Sie hätten es ohne Zweifel verdient!

Wow, soviel hab ich wohl noch nie am Stück gebloggt. Ich hoffe, es war nicht zu anstrengend zu lesen. Was letzte Woche passiert ist konnte ich aber nicht kürzer fassen. Manchmal, wenn ich diese Einträge im Nachhinein lese, hab ich zum Teil das Gefühl, dass alles irgendwie mehr für mich selbst zu schreiben, als für euch…=)

Vielen Dank für euer Interesse und eure Geduld. Über Feedbacks oder Fragen würde ich mich freuen.

Claudius

PS: Anbei noch einige Bilder von den „schönen Seiten“ Ruandas








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